Ein Update zu Rn. 386

Zum Werk: Froitzheim, Die Ablehnung von Schiedsrichtern wegen Befangenheit in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit - Internationale Standards und Kasuistik

Recht zur Lüge des Schiedsrichters bei Offenbarung?
Update vom 19.12.2016

In Decision on the Proposal to Disqualify L. Yves Fortier, Q.C., Arbitrator, in ConocoPhilips Company et al. v. The Bolivian Republic of Venezuela, ICSID Case No. ARB/07/30 (15.12.2015) wurde von der Beklagten vorgebracht, dass der abgelehnte Schiedsrichter in seiner Offenbarung, mit der er eine Frage der Beklagten beantwortete, nicht die Wahrheit sagte. Diese Frage betraf allerdings die Rolle eines Assistenten eines Tribunals, in dem der abgelehnte Schiedsrichter Vorsitzender war. Die übrigen Schiedsrichter  des aktuellen Verfahren stellten darauf ab, dass die Unwahrheit der fraglichen Antwort nicht feststehe und zudem weder die Frage noch die Antwort des Schiedsrichters zu diesem anderen Tribunal in absolut keinem Zusammenhang mit dem jetzigen Verfahren steht (dort Rn. 40). 

Diese Entscheidung steht im Zusammenhang mit dem Problem der fehlenden Offenbarung. Anders als dort jedoch, hat der Schiedsrichter hier offenbart aber ggf. hierbei nicht die Wahrheit gesagt (so jedenfalls von der Beklagten vorgetragen). Interessant ist die Frage, ob diese Entscheidung richtig wäre, auch wenn die Unwahrheit der Offenbarung festgestanden hätte. Grundsätzlich wäre der Schiedsrichter nicht zur Offenbarung verpflichtet gewesen, da es sich um ein völlig anderes Verfahren handelte, das weder personell noch sachlich Bezug zum aktuellen Verfahren hatte. Fragt eine Partei aber explizit nach solchen Umständen, könnte dies nach dem subjektiven Test (siehe dieses Werk Rn. 350 ff.) hierdurch zur offenbarungspflichtigen Tatsche geworden sein. Demnach wäre er zur Offenbarung verpflichtet gewesen und eine unwahre Beantwortung der Frage wäre mindestens wie die Nicht-Offenbarung zu behandeln. Ggf. wäre eine bewusste Täuschung sogar eher als Ablehnugsgrund zu verstehen als ein bloßes Schweigen. 

Zu beachten ist aber, dass die in Rn. 353 ff dieses Werks beschriebene objektive Grenze auch hier gelten muss. So kann eine Partei nicht beliebige Themen zu offenbarungspflichtigen Tatsachen durch einfache Nachfragen machen. Ansonsten wäre dem Missbrauch der Offenbarungspflicht jede Tür geöffnet. Eine Partei könnte mit unzähligen und zeitlich gestaffelten Nachfragen den Schiedsrichter überhäufen. Sollte wegen der objektiven Grenze der Offenbarungspflicht keine offenbarungspflichtige Tatsache mehr vorliegen, muss der Schiedsrichter diese auch nicht beantworten.

Fraglich ist aber, wie es zu bewerten wäre, wenn der Schiedsrichter auch ohne hierzu verpflichtet zu sein, dennoch auf eine solche Frage antwortet und hierbei bewusst die Unwahrheit behauptet. Zu fragen ist, ob ein Fehlen der Offenbarungspflicht eine Art Recht zur Lüge des Schiedsrichters nach sich zieht.

Man könnte dies annehmen, um einen Missbrauch der Offenbarungspflicht durch die Parteien zu verhindern. So sei es möglich, dass eine Partei bewusst und mit taktischem Kalkül bestimmte Fragen stellt, da sie vermutet, dass der Schiedsrichter diese nicht der Wahrheit entsprechend beantworten werden wird. Solche Fragen der Parteien könnten also eine Art Falle sein, in die der Schiedsrichter treten kann. 

Ein solches Recht zur Lüge ist jedoch abzulehnen. Entweder betrifft die Frage der Partei eine offenbarungspflichtige Tatsache oder nicht. Ist die Tatsache offenbarungspflichtig ist nicht ersichtlich, warum der Schiedsrichter diese unrichtig beantworten dürfen soll. Ist sie nicht-offenbarungspflichtig, steht es dem Schiedsrichter frei sie nicht zu beantworten (s.o.). Einem möglichen Missbrauch kann der Schiedsrichter also durch das Verweigern der Antwort entgegentreten. Entschließt er sich aber zur Antwort, ist kein Grund ersichtlich, warum er dann bewusst die Unwahrheit sagen darf. 

Aber auch dies kann keinen Automatismus bedeuten. Eine bewusst unwahre Antwort im Rahmen der Offenbarung muss nicht in jedem Fall einen Ablehnungsgrund darstellen. Sie kann aber auch nicht völlig unbedeutend sein. Vielmehr ist eine solche ein Element in einer möglichen Gesamtschau der vorliegenden Tatsachen. Insoweit ist die bewusste Lüge zumindest so zu behandeln wie das bloße Verschweigen. Jedoch hat die bewusste Lüge tendenziell mehr Intensität im Sinne der Rn. 199 ff. dieses Werks als ein Verschweigen. 

Da aber einfache Fehler des Schiedsrichters grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund darstellen (siehe Rn. 385 und 625 f. dieses Werks), ist eine unbewusste falsche Beantwortung grundsätzlich hier unbeachtlich. Eine unbewusste falsche Beantwortung einer Frage einer Partei lässt keinen Schluss auf eine Befangenheit des Schiedsrichters zu. 




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